Seit Monaten dominiert die Corona-Pandemie alle Lebensbereiche und Gespräche. Die Menschen sind müde davon, und trotzdem lässt sie das Thema nicht los. Wie können wir damit im Unterricht umgehen?
Das „C-Wort“ oder „das große C“: Viele Menschen sind das Sprechen über Corona und seine Folgen so Leid, dass sie den Namen nicht mehr in den Mund nehmen wollen. Gesundheitliche Sorgen und Ängste, wirtschaftliche Nöte, soziale Isolation für Alleinlebende, zu dichtes Aufeinandersitzen für Familien, Misstrauen und Wut gegenüber der Politik – all das hat die Menschen mürbe gemacht. Sie wünschen sich, dass die Krise vorbei sein soll, und wenn das nicht geht, wollen sie zumindest nichts mehr davon hören.
Corona in Yoga-Unterricht einbeziehen?
Yogaunterricht in dieser Zeit ist nicht nur wegen der sich ständig ändernden äußeren Rahmenbedingungen – Abstandsregeln, virtueller Unterricht, Hybridformen – herausfordernd. Auch inhaltlich fordert Corona uns Yogalehrenden einiges ab. Sollen, wollen, dürfen, müssen wir im Yogaunterricht Corona einbeziehen, oder ist es besser, das Thema außen vor zu lassen?
Viele Menschen hätten das wohl gerne so; Yogaunterricht als Rückzugsraum, in dem man das Belastende für gewisse Zeit vergessen kann, eine coronafreie Zone. Doch das entspricht nicht der yogischen Idee, dass jeder Mensch im Yoga dort abgeholt wird, wo er jetzt gerade steht, dhukha – Leid inklusive.
Corona – dukha – Leid
„Jedem Menschen wird immer wieder etwas begegnen, durch das er leidet, z.B. Körperschmerzen, Alter, Tod, ungünstige äußere Veränderungen, die Last mancher Gewohnheit, Konflikte eigener Interessen“1, zählt Sriram mögliche Auslöser von Leid auf und scheint dabei die vergangenen Pandemie-Monate zu beschreiben. „Nicht nur das Leiden vermindern zu wollen, sondern anzuerkennen, dass es allgegenwärtig ist, ist ein wichtiges erstes Erwachen.“2, erläutert er weiter. Die Krise in den Yogaunterricht einzubeziehen ist ein solches Anerkennen, auch wenn es auf den ersten Blick scheinen mag, als würde dadurch unnötig an offene Wunden gerührt. Doch es birgt auch die Chance, über eine annehmende Betrachtung zu nachhaltiger Ruhe in dieser Zeit zu finden.
Vorsicht vor Polarisierungen
Alles, was mit der Corona-Pandemie zu tun hat, ist emotional aufgeladen. Schon vor der Pandemie hat sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren immer mehr polarisiert. Die Corona-Krise hat diesen Trend weiter verstärkt, auch und gerade innerhalb der Yogaszene, wo scheinbar unvereinbare Positionen in den vergangenen Monaten mit voller Wucht aufeinander geprallt sind. In Diskussionen hat sich wahrscheinlich jeder einmal dabei ertappt, dass er sich weiter von Satya (die Wahrheit sprechen, ohne andere zu verletzen) und Ahimsa (Nicht-Verletzen schon in den Gedanken) entfernt hat, als ihm lieb ist.
Deshalb ist es um so wichtiger, dass es uns gelingt, die Yogastunde als „neutralen Boden“ zu behandeln, wo es nicht um richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht beziehungsweise wahr oder unwahr geht. Dafür müssen wir uns vorab über drei Dinge klar werden:
- Was sollten wir vermeiden?
Ängste oder Wut schüren, Kopfkino oder gar Diskussionen auslösen. - Wo liegen unsere Grenzen?
Wir haben keinen Einfluss auf die Krise mit all ihren Nebenwirkungen (oder auch auf jede andere Herausforderung im Leben der Teilnehmenden). Die Rahmenbedingungen der Krise und die Meinung der Teilnehmenden dazu sollten wir ohne Wertungen als gesetzt betrachten. - Was wollen und können wir mit dem Unterricht erreichen?
Yoga Sutra im echten Leben
In meinen Stundeneinführungen nutze ich die Krise als Möglichkeit, um die Lehren des Yoga Sutra von der abstrakten Ebene mitten ins Leben zu holen. An einem Beispiel zeige ich, wie ich dabei vorgehe:
Im Herbst, zum Höhepunkt der Querdenken-Demonstrationen, standen die vier bhavana (maitri, karuna, upeksa und mudita) im Mittelpunkt mehrerer aufeinanderfolgender Stunden. Täglich hörten wir in dieser Zeit von hasserfüllten Zusammenstößen der verschiedenen Strömungen, auch innerhalb der Yogaszene. Ich fragte mich: Wie kann es gelingen, in einer solchen Zeit und bei solch kontroversen Sichtweisen Freundlichkeit, Mitempfinden, Begeisterung und Vergebung zu üben, für sich selbst, für Freunde, aber eben auch für Menschen, die ganz anders denken als man selbst? Wie lässt sich eine Brücke bauen, um Wut oder Verzweiflung in Freundlichkeit und Vergeben umwandeln zu können?
Lage Wertungsfrei betrachten
Um für meine Teilnehmer und mich den Zugang zu diesen Themen zu erleichtern, habe ich in meinen Stundeneinführungen sehr kurz und bewusst wertungsfrei die Wut, die Enttäuschung und die Verzweiflung der Menschen angesprochen, die Teilnehmer dann aber im Geiste weitergeführt zu dem wunderschönen Film „Ein Mann namens Ove“. So stellte ich zwar den Bezug zur Situation und unserer Realität her, vermied aber, dass das Gedankenkarussell der Teilnehmer anfing, sich um Corona-Positionen zu drehen. Stattdessen erzählte ich von diesem Ove, der für alle neutrales Terrain sein dürfte, für mich ein Vehikel, um Upeksa als vergebungsvolles Hinschauen zu thematisieren.
In dem Film (basierend auf dem gleichnamigen Buch von Fredrik Backman) beobachtet man den schrulligen, unsympathischen Ove, wie er seine ganze Nachbarschaft tyrannisiert. Doch allmählich geht in dem Film der Blick tiefer, die Kamera nimmt die Rolle eines Zeugen ein, der Ove und seine Geschichte betrachtet, ohne zu werten. Nach und nach wächst im Zuschauer das Verständnis für Ove – und in den Teilnehmenden der Yogastunde idealerweise die Erkenntnis, dass jeder Mensch Gründe hat für seine Sichtweisen und sein Verhalten, dass jeder ernstgenommen werden möchte, selbst wenn man seine Position nicht teilt.
Die Asanapraxis dieser Stunde betonte kräftige, öffnende Haltungen in Verbindung mit dem langen Atem, immer wieder verbunden mit dem Hinweis, stabil zu stehen, sich zu öffnen und gleichzeitig bei sich zu bleiben. Die Stunde endete mit einer Metta-Meditation, beginnend mit dem verzeihenden Betrachten der eigenen Person (des Ove in mir), dem Verständnis für Freunde bis hin zur freundlichen Haltung gegenüber Menschen, denen man sich nicht nahe fühlt (dem Ove in anderen).
Aus Rückmeldungen von Teilnehmenden weiß ich, dass Ove sie noch länger begleitet hat und die Erinnerung an diese Geschichte ihnen geholfen hat, innerlich mehr Abstand zum Geschehen zu bekommen.
Barbara Oberst ist Journalistin, Yogalehrerin (BDY/EYU) und ausgebildet in Svastha Yogatherapie. In ihren Weiterbildungen „Die Worte im Yoga“ verbindet sie die Erfahrungen aus beiden Berufen und übt mit Yogalehrenden einen achtsamen Umgang mit der Sprache im Unterricht. Das Datum für den nächsten Seminartermin zum Finden und Formulieren von Stundenthemen wurde verschoben – denn auch hier wirkt sich die Corona-Lage aus.
Neuer Termin ist: 17.-18. Juli in Herrsching am Ammersee (S-Bahn-Bereich München). Aktuell sind alle Plätze besetzt, aber es gibt eine Warteliste, bei genügend Interessenten ist auch ein zweiter Termin im Herbst mögich. Informationen und Anmeldungen per per Mail an info@yoga-im-leben.com oder unter Tel. 08191/9378278
1Sriram, R., Patanjali. Das Yogasutra. Von der Erkenntnis zur Befreiung, Bielefeld 22006, S. 27.
2Ebda.
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